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Ich tauge nicht als Role Model

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Auf der diesjährigen re:publica gab es eine Session zum Thema “Sind bloggende Väter eine Nischenerscheinung?“. Es ging um die Frage, warum es zwar eine relativ rege “Mutti-Blogger”-Szene gebe, dem aber kaum “Väter-Blogger” gegenüberstünden.

Ich persönlich stoße mich ja schon an der Begrifflichkeit. Mutti-Blogs klingt für mich schon herabsetzend, als seien die Inhalte der dahinter stehenden Frauen weniger ernst zu nehmen. Aber vielleicht ist das ja auch nur (m)eine Empfindlichkeit. Als Sven mich im Vorfeld der re:publica bat, ihm für seine Vorbereitung der Session ein paar Fragen zu beantworten, geriet ich erstmals ins Grübeln. Ich hatte mir bislang schlichtweg keine Gedanken darüber gemacht, ob Väter anders als Mütter bloggen, oder ob es Zeit für mehr Gefühl in Männerblogs ist.

Ich selbst würde mein Blog nie als “Vaterblog” bezeichnen. Die Jazzlounge war und ist von Anfang an ein Gemischtwarenladen. So gemischt, dass es hin und wieder auch um familiäre Themen geht. Dass dabei Gefühle eine Rolle spielen, ist für mich ganz persönlich eine Selbstverständlichkeit. Eine rein beschreibende Bloggerei ohne, dass Gefühle dabei sichtbar werden, ist für mich schlichtweg nicht denkbar. Ob ich mit meinen Inhalten dabei als Vorbild tauge, das weiß ich nicht. Auch wenn ich mich natürlich über rege Aufmerksamkeit freue, ein Vorbild zu sein oder zu werden, war für mich nie Ziel der Bloggerei. Für mich ist die Schreiberei ein wundervolles Hobby und gleichzeitig eine Katharsis, die mir hilft, Dinge für mich zu ordnen und einzuordnen. Ich mag den Diskurs in der Blogosphäre. Die zahlreichen unterschiedlichen Sichtweisen und Haltungen. Sie bereichern mein Leben, prägen es, verändern es bisweilen auch.

Nach der oben genannten Session fand ich mich mitten in der Station in einem Gespräch mit drei Frauen wieder. Eine davon war meine Chefin, die beiden anderen kenne ich schon seit langem über meine virtuellen Netzwerke. Ich berichtete über die o.g. Session, die ich kurz zuvor besucht hatte. Ich war noch ziemlich aufgeregt, weil in der Diskussion mehrmals die Aussage fiel, dass die “heutigen Väter” von allen Seiten unter enormem Druck stünden, was mich zu folgendem Tweet veranlasste.

Ich bin zunehmend genervt von diesem Männer-Gejammer über den Druck und die Erwartungshaltung, die so schwer auf uns lastet, dass wir an der Grenze zur Überforderung leben. Natürlich gibt es Erwartungen an uns. So wie es Erwartungen an Frauen gibt, so wie wir Erwartungen an Kinder haben, so wie wir Erwartungen an unsere Eltern, Arbeitgeber, Freunde, Bekannte … haben. Letztlich ist es aber doch immer die Frage, wie wir damit umgehen. Wollen wir den Erwartungen entsprechen, oder wollen wir unseren eigenen Weg gehen, den wir in unseren Partnerschaften, Ehen und Familien für den richtigen halten. Und da bin ich dann auch beim Punkt. Ich glaube nämlich, dass in vielen Fällen der viel beschworene Druck von außen gar nicht unbedingt von außen kommt, sondern aus innerfamiliär und innerpartnerschaftlich unausgesprochenen oder ungetroffenen Vereinbarungen resultiert. Erwartungen resultieren ja immer aus einer Vorstellung, wie die Dinge idealerweise sein sollten. Nun ist es nicht überraschend, dass es nicht nur ein Lebensideal gibt. Es gibt so viele Lebensentwürfe, so viele Rollenmodelle, so viele Formen des Zusammenlebens, dass sie sich unmöglich unter ein Ideal subsummieren lassen.

Für die eine Familie ist es das Ideal, wenn ein Partner ganz zu Hause bleibt und sich um Haus und Kinder kümmert, für die anderen ist eine wie auch immer geartete Aufteilung ideal. Mir ist wichtig, dass mehr Toleranz Einzug hält und mehr Verständnis für andere Lebenswirklichkeiten und -welten. Und dass es gesellschaftlich nicht bewertet wird, wer wie zusammen oder getrennt lebt. Wichtig ist, dass jede Lebenswirklichkeit, so sie denn auf freien Entscheidungen beruht, anerkannt wird und die Gesellschaft sorge dafür trägt, dass sie am Ende auch lebbar ist. Sei es durch die Bereitstellung ausreichender und guter Kinderbetreuungsmöglichkeiten oder finanzielle Anreize wie das Kinder- oder Elterngeld. Wobei letzteres aus meiner Sicht nicht unbedingt sozial gerecht konzipiert ist, weil Bezieher niedriger Einkommen von einem Bezug quasi ausgeschlossen sind, da 63% eines ohnehin niedrigen Einkommens kaum ein Anreiz sind, Elternzeit zu nehmen.

Aber zurück zum o.g. Gespräch. Meine Gesprächspartnerinnen diskutierten heiß darüber, ob es in den letzten Jahrzehnten für die Frauen einen wirklich erkennbaren Fortschritt gegeben habe, wenn es um Gleichberechtigung und eine verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht. Wir waren uns einig, dass dies nur einigen marginalen Bereichen oder in vereinzelten Unternehmen der Fall sei. Es ist immer noch nicht “normal”, wenn Männer die Kindererziehung übernehmen und sich entscheiden, zu Hause zu bleiben. Es ist noch nicht einmal “normal”, wenn Paare sich die Erziehung ihrer Kinder und die Haushaltsführung teilen und weiter berufstätig bleiben. Es ist nicht “normal”, dass Podien, Gremien, Führungspositionen paritätisch mit Männern und Frauen besetzt werden. Es ist immer noch nicht “normal”, dass homosexuelle Paare Kinder haben oder diese adoptieren dürfen. Es ist vollkommen “normal”, sich über all’ das keine Gedanken zu machen. Es ist “normal”, entsprechende Forderungen sogar lächerlich zu machen oder im beten Falle jovial darüber hinweg zu gehen. Immer wieder werden Paare ob ihrer Entscheidungen und Lebensstile massiv diskriminiert. Und das passiert in der großen Öffentlichkeit, wie beim kleinen intimen Kaffeeklatsch oder Stammtisch.

In unserer Familie haben wir eine besprochene und vereinbarte Aufteilung von Verantwortlichkeiten. Die ist eher konservativ, denn ich gehe bislang weiter voll arbeiten, während die Beste in Teilzeit arbeitet. Aber es ist das Modell, auf das wir uns geeinigt haben und mit dem wir beide (und hoffentlich auch unser Nachwuchs) zufrieden sind. Ich wäre auch bereit gewesen, daheim zu bleiben, wenn die Beste mehr hätte arbeiten wollen. Und wer weiß, ob sich diese Aufteilung nicht auch eines Tages noch ändert. Es ist unsere Vereinbarung. Wenn sie jemandem nicht gefällt, sein oder ihr Problem. Andere vereinbaren sich anders. Auch gut. Das habe ich nicht zu be- und schon gar nicht zu verurteilen. Ich finde es toll, wenn Männer länger als die üblichen zwei Monate Elternzeit nehmen, auch wenn ich es selber nicht getan habe.

Was die Vereinbarkeit von Familie und Beruf angeht, beschäftigt mich insbesondere die Diskussion um Karriereknicke ganz besonders. Ich bin nämlich der Meinung, dass es überhaupt nicht überraschend, sondern geradezu zwangsläufig ist, dass Karrieren anders verlaufen, wenn Kinder da sind. Kinder sind ein Fulltime-Job, von dem wir Eltern uns nur partiell durch die Inanspruchnahme von Kinderbetreuungsangeboten “freikaufen” können. Aber es bleibt immer noch ein gerüttelt Maß an Zeit- und vor allem Herzensaufwand übrig. Würde man darüber diskutieren, dass man neben einem Vollzeitjob einen weiteren Vollzeitjob annähme, wäre jedem klar, dass das wohl nur machbar wäre, wenn die Qualität der abgelieferten Arbeit in mindestens einem Job nicht mehr ansatzweise so hoch wäre, wie es der jeweilige “Arbeitgeber” erwartet. Zwangsläufig müsste im Job Verantwortung aufgeteilt, müssten Aufgaben delegiert werden. Auch hier muss sich also ein jeder und eine jede fragen lassen, welche Bedeutung, welchen Stellenwert er dem Job “Kind/Kinder” in seinem Leben einräumt. Auch hier ist zu priorisieren, abzuwägen, zu entscheiden. Wie immer im Leben. Das einzige was nervt, ist die immer noch in weiten Teilen der Gesellschaft vorzufindende Haltung, dass Karriereknicke bei Frauen wohl eher zu akzeptieren seien, als bei Männern, denen dann gern als Begründung die Rolle des “Hauptverdieners” zugeschrieben wird. Dieser Schwachsinn wird wohl erst aufhören, wenn endlich gesetzlich verankert wird, dass diese Ungleichbehandlung in der Entlohnung ein für alle Mal verboten gehört.

Gegen Ende des oben erwähnten Gesprächs fiel dann der Satz: “Es braucht Role Models wie Dich”. Das machte mich stutzig, denn das ist etwas, was ich bislang weit von mir gewiesen hätte. Ich will kein Role Model sein, denn ich meine, nicht zum Vorbild zu taugen. Für was auch? Für eine relativ konservative Rollenverteilung? Dafür, dass Väter auch Gefühle haben und öffentlich dazu stehen? Ich bin da skeptisch, denn auch in meinem Leben gibt es genügend Baustellen, die noch beackert werden wollen. Auch bei mir gibt es Unzufriedenheiten, ungehobene Potenziale.

Am Ende glaube ich, es braucht keine Mutti- oder Väter-Blogs. Es braucht insgesamt mehr Blogs, die über Lebensalltage und -stile berichten. Blogs, die die Vielfalt und Buntheit dieser Gesellschaft abbilden. Es braucht bloggende Migrantinnen und Migranten, bloggende Großeltern, bloggende Kinder, bloggende Eltern, bloggende Erzieherinnen und Erzieher, bloggende Lehrerinnen und Lehrer …

Denn all das ist am Ende “normal”.

Nachtrag: Just in diesen Minuten ist beim SpOn ein Artikel erschienen, der die familiäre Vielfalt sehr schön darstellt. Es gibt keine Zufälle.


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